Monat: November 2021

Ihre Lebensgeister sind geweckt, wenn sie schimpfen kann. Nach Herzenslust. Schon als Kind angetrieben von ständiger Empörung. Auf alles und jeden. Giftig wie ein Fliegenpilz. Herrlich theatralisch, wenn sie ansetzt in Wort und Gestik und ihre Schimpfkanonade preis gibt gegen wen auch immer, der an ihr vorbei geht.

Heute vor einem Barbiershop irgendwo in der Provinz. Ein jüngerer Mann begehrt Einlass zum Styling. „Ich möchte so aussehen, wie der Typ auf Ihrer Anzeigetafel da.“ Erstauntes Augenbrauenhochziehen des Friseurs und er sprach: „Das ist nur ein Serviervorschlag.“

Auf einem staatlichen Hocker sitzend und wartend. Nichts passiert. Rathausflure vereinsamt. Sicherheitsdienstmitarbeiter allein sind sichtbar. Sie erobern die Macht in diesen Tagen. Geisterhaft. Alles ohne Worte. Alles ohne Sinn. Die Stadt hat nichts zu sagen.

Nachts im Museum springen sie aus ihrer starren Struktur und wuseln wild durcheinander. Geben ihre Einheit auf, verwandeln sich in schwarz und bunt. Sobald ein Nachtwächter um die Ecke schaut, mit Taschenlampe und Ordnungsblick, erstarren sie wieder. Niemand schafft jemals Uniformes.

Der Mensch stehe im Zentrum. Aber was ist er – unveränderlich? Ein Entwurf, der immer dar Bestand hat? Dicke Bücher sind darüber verfasst. Ein Schaufensterdekorateur in Hamburg mag sie gelesen haben. Die Idee vom Menschen scheint variabel.

Herbst im Kurpark: Zwei Influencerinnen posen und bekehren viral modern und mit kunstvoll weg geschminkter Mimik vor klassizistsischer Kulisse. Ins Bild huscht kurz eine hektisch suchende alte Dame in gelb: Vergebliche Mühe, im Badehaus findet sich kein kleines Örtchen. Minuten später hockt sie im Gebüsch und erleichtert sich.

Ein irrlichternder Senior in grauem VW quert die Promenade. „Wo bitte geht´s hier hinaus?“, fragt er hinterm Lenkrad ganz verzweifelt. „Wie sind Sie denn mit Ihrem Auto hier hereingekommen?“ „Wenn ich das wüsste…“, folgt die Verzweiflung mit ihm Richtung „da könnte es hinausgehen…“

Ich bin hübsch im Nichtsein. Muss sich ein mutiger Kletterer gedacht haben. Lippenstift verschmiert wie nach einem Kuss auf eiskalten Mund.

Morgens stapelt sich das Grätenvolk. Starre Augen. Glitzernd noch das kühle Nass der Meere im Pelz. Tonnen an Rohfisch warten auf den Verzehr. Am Nachmittag dann ein Spaziergang durch die leergefegte Halle. In der Nase die Gerüche von Sushi und Fischfrikadelle. Ein letzter Gruß vom Oktopus.

Unvollendet. Erst, wenn sie sich verbinden, machen ihre Bruchstücke Sinn. Aufgezogen auf Holz, Hände, die greifen, Akkorde, Resonanzen. Schwingungen summen in luftiger Höhe, der Wind, er ist ihr Spieler.

Wir nahmen einmal teil an einem Experiment. Transparenz des Lebens. Verbunden mit allem, rote Kopfhörer auf den Ohren, mitten durch die Stadt. Geheimnisse preisgegeben und ins Hirn geflüstert, am Ende ein Zeremonienmeister, der uns taufte als Wissende. Jahre her. Erwacht aus der Theaterphantasie im Jetzt und Hier.