Radikal Subjektiv

Jede Meinung zählt. Sie ist nur nicht so nahe an der Wahrheit wie das Wissen. Neuerdings lese ich einen online Newsletter meiner Heimatzeitung als Beiwerk zur Zeitung – exklusiv werde ich angemailt und mit Namen angesprochen.

Und lerne im Laufe der donnerstäglichen Ausgaben gleich die ganze Familie und Verwandtschaft der Autorin kennen. Nun bin ich über die Monate wie eine Serienkonsumentin im Bilde, weiß, wann welches Kind mit welchem Bus zur Schule fährt, was der Hund frisst und der Ehemann für Hobbies hat. Eine Durchschnittsjournalistenfamilie hält her als Zeugenschaft fürs Lokalgeschehen.

Neulich wurde mir auch die Cousine noch vorgestellt, im Text. Der Schreiberin Bewußtsein grenzt an echtes Fürwahrhalten dessen, worüber sie schreibt.

Eine Meinung ist mein. Nur leider steht das nirgends. Es wird für wahr verkauft. Radikal Subjektiv – müsste die wichtigste Überschrift lauten. Oder: „Bitte klicken Sie weiter unten, wenn Sie den Newsletter nicht weiter beziehen möchten.“

Kein Klick. Gespannt, wo und wie das endet. Begreifendes Erkennen, den Blick zu weiten?

Welterzeugung

Es sind drei Freundinnen. Mit hellen Stimmen verhandeln sie die Welt. Lachen, zeichnen, entwerfen. Die Sonne schenkt ihnen einen eigenen Kosmos, Umrisse auf dem grauen Asphalt.

Spazierwandler bleiben stehen. Ein Unikat, das hier. Und doch ein jeder kennt es, die Sonne, sie war auch in unserer Jugend ein Garant für Entdeckungen. Neue Formen, Schöpfung aus dem Nichts gezaubert.

Ein Schmunzeln, die Kamera gezückt. Entzückt.

Meer

Die Flure sind leer, ganz still das Haus. Die Betten warten auf den nächsten Patienten. Allein das Blau, es vibriert, in seinen Tiefen die Fische, lebendig beweglich in Wellen und Wogen. Sie umkreisen den Betrachter.

Eine Schwester huscht über den Flur, ihre Gummisohlen quietschen auf dem Linoleum. Ein kleiner Windhauch und das Plastik über den Betten hebt sich, wie Seufzer. Sie lassen sich wieder fallen wie von Geisterhand gezupft.

Stille. Gedanken, die schweifen. Wie wäre es jetzt am Meer, wenn das Meer an Pharmazie erst in einem selbst vertropft ist und der Zugang entfernt. Freiheit.

Unschätzbar. Kostbar. Das echte Leben zwischen Bild und Bett.

Element

Im eigenen Element sein. Schwarz und weiß. Eckpunkte, deren Begrenzung zu sprengen ist. Ab hier würde ich auf Buntstifte umsatteln. Unerschöpfliche Farbpaletten ausschöpfen. Flächen färben, je bunter desto besser.

Mifune

Pure Energie, ein Hauch ganzer Welten. Licht in allen Farben ändert alles. Sinne, verzaubert, das Künftige leicht und beschwingt.

Zwinkerndes, strahlendes Blau, zwei funkelnde Sterne. Wie Wolkensüße. Unzertrennlich verquickt auf jetzt mit jeder Minute.

Mifune. Meine Melodie.

Minusdynamik

Selbst ein banger Blick in den Himmel reicht nicht mehr. Da probt der Krieg mit Abwehrradar. Fahle Versprechen enden schon jäh hinter der diffusen Bezeichnung von „morgen“.

Wir seien in einer neuen Welt aufgewacht, eine Zeitenwende sei eingeläutet. Ist das nicht jeden Tag der Fall? Steckte das Ungewisse nicht stets in der DNA des Lebens? Was machte uns so sicher, es ginge unablässig so weiter?

Die Minusdynamik der Veränderung summiert sich. Unsicherheit wabert in unsere Zellen.

Das aber ist geradezu menschlich. Es belebt. Löst Muster auf. Denkbar ist Anderes, die Poesie möglicher Welten.

Nomen

Heit, -keit, -ung… Endungen, die Worte zu erhabenen Nomen verpuppen. Hauptwörter. War das als Knirps eine Offenbarung, ins Land des Lesens und Schreibens aufzubrechen, die Geheimnisse der Wörter zu entdecken. Im Gewimmel von Regeln und der Kunst an Verständigung den eigenen Weg finden. Dazugehören. Silben zusammensetzen, Sätze bilden. Lange, kurze, oder auch gar keine, sie abrupt enden lassen. Eine Spielerei nach Herzenslust.

Was habe ich geschwitzt, geackert, für ein langes Gesicht gezogen, wenn aus Diktaten doch rote Seenlandschaften an Tinte wurden. Wie verzagt war ich als ich dachte, niemals werde ich mich in dieser Welt auskennen. Schule jedenfalls war es nicht, die mich begeistert hat. Es war die prickelnde Neugierde, endlich in dicken Wälzern schmökern zu können.

Und plötzlich wie ein gelöster Knoten im Hirn das kleine Wunder: Die Wortparadiespforten schwangen weit auf und luden mich ein, ewiger Gast im ABC zu sein.

Seither sammele ich sie, die schönsten Exemplare unter ihnen: verlorene, lockende Worte. Finde ich eins, ist es pures Glück. Nomen – und ebenso die kleinen Geschwister.

Punk

Was für eine schöne Belohnung. Wenn Kinder am Ende ihren ganz eigenen Kopf entwickeln. Ausreißen aus dem allzu starren Korsett des Mainstreams. Sich trauen. Fahrt aufnehmen fürs Leben. Sie selbst sind.

Konsumtempel

Güter. Bis zum Himmel gestapelt. Warenverkehre einmal um den Globus. Transport auf LKWs, Schiffen, unter den Arm geklemmt oder im Lastenfahrrad von A nach B gekarrt. Gebunkert in Heim und Garten.

Und ich denke dann immer: ein Sarg hat keine Regale. Das letzte Hemd hat keine Taschen.